Das Wepad (-tab) und die Presse.

Das Wepad Wetab ist in aller Munde. Warum, weiß niemand so genau, schließlich existieren bislang nur Prototypen des als iPad-Konkurrent (oder auch iPad-Killer, je nach Euphorie der Berichterstattung) angekündigten Produkts . OK, die Wetab-Facebook-Seite hat bereits über 20.000 Fans . Aber dies ist vor allem der breiten Berichterstattung auf den Webseiten vieler großer Zeitungen und Magazinen zuzurechnen. So berichten seit ca. Mitte März Focus, Spiegel, Heise, n-tv und viele, viele andere zunehmend exzessiv über ein Produkt, welches bis vor wenigen Tagen nur durch Ankündigungen des Berliner Herstellers existierte.

Die Fage nach dem „Warum?“ lässt sich schnell beantworten, wenn man die Titel und Untertitel der Geschichten betrachtet.

Als „Wunderwaffe der Verläge“ oder  „Befreier der Verläge“ tituliert, scheint das Wetab für viele Verläge vor allem eines zu sein: Das ersehnte Produkt, welches endlich ohne die Fesseln Apples ermöglicht, kostenpflichtige Inhalte an die Kunden zu vermitteln. Ein Messias der Medienbranche in Gestalt eines mittelständischen Berliner Unternehmens? Zugegeben, ich würde es den Verlägen ja gönnen. Und die Euphorie darüber, endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen, kann ich auch noch nachvollziehen. Was mich stört, ist die weitestgehende Kritiklosigkeit der Berichterstattung, die schon nahezu an Verblendung grenzt.

Die Fakten sprechen für sich. Die Berliner Firma Neofonie, bisher eher eine Softwarefirma mit nach eigenen Angaben ca. 180 Mitarbeitern kündigt im März ein Tablet-PC an, an dem angeblich seit über 2 Jahren entwickelt wird und der auf einen Schlag alle vermeintlichen Schwächen des iPad beseitigen soll. Nach einer etwas misslungenen Pressekonferenz, auf der ein Prototyp des Wepad mit nicht funktionierendem Touchscreen (Der Touchscreen ist immerhin das herausragende Merkmal eines Geräts der Tablet-PC-Kategorie) gezeigt wurde, war die deutsche Presselandschaft enttäuscht. Dies führte zu einem kurzen Abriss der bis dahin fast ausschließlich positiven Berichterstattung auf den Startseiten großer Nachrichtenseiten. Eine extra für ausgewählte Journalisten anberaumter Produkttest konnte am Montag die offenen Wunden wieder heilen. So titelt sogleich der Stern: „Das WePad lebt“. Dass der Stern als erster journalistischer Partner des WeTab angekündigt wurde, das Neofonie-Produkt „WeFind“ in die Stern-Webseite integriert ist und offensichtlich langanhaltende (Geschäfts-)Beziehungen zwischen Gruner+Jahr sowie dem Neofonie-Chef bestehen, ist sicherlich kein Grund dafür, dass dieser Artikel ein scheinbar endloses Loblied auf den Tablet-PC singt.

Aber was wurde denn auf dem Produkttest (zu sehen bei YouTube) tatsächlich gezeigt? Ein Gerät, welches bei der Videowiedergabe sichtbar ruckelt. Ein angeblich portables Gerät, welches aufgrund eines Wackelkontakts nicht in die Hand genommen werden kann. Ein Gerät, bei dem selbst der Firmenchef bei der Präsentation mehr als 5-Mal auf die Schaltfläche zum Starten eines Videos drücken muss, bis der berührungsempfindliche Bildschirm reagiert. Eine Tastatur, auf der man mangels Multi-Touch noch nicht groß schreiben kann. Ein Beschleunigungssensor ohne Funktionalität, die Anzeige auf die aktuelle Position auszurichten. Aber, da sind sich die Medien einig, dies seien alles kleine Fehler, die bis Markteinführung behoben sein werden. So schreibt der Stern über  „anscheinend nur geringe Unterschiede bei der Multitouch-Bedienung zwischen iPad und WePad“, was angesichts der noch nicht integrierten Multi-Touch-Funktionalität eine gewagte Behauptung ist, wird doch keine einzige Geste mit zwei Fingern vorgeführt. Nein, zum jetzigen Zeitpunkt wirkt das WePad wie ein Computer, dem seine Maus und Tastatur weggerissen wurde. Solche Aussagen fehlen in der (derzeitigen) Berichterstattung gänzlich.

Ich bin kein Experte für Entwicklungszyklen bei Unterhaltungsprodukten, aber ich sehe bei weitem nicht, wie es ein 180-Mann-Unternehmen, dessen Mitarbeiter bisher weitgehend in anderen Geschäftsbereichen tätig waren, schafft, innerhalb von 3 Monaten (solange dauert es angeblich, bis die breite Verfügbarkeit des Produkts hergestellt ist) Fehler auszubügeln und wesentliche Funktionen zu integrieren, für die in den 2 Jahren Entwicklungszeit keine Lösung gefunden wurde.Ich stelle die Behauptung auf, dass normalerweise zu einem gewissen Zeitpunkt VOR der Markteinführung der Entwicklungsstand eingefroren wird, um die Massenfertigung und Auslieferung zu planen. Einen solchen Rückstand in 2 Monaten aufzuholen, würde wohl selbst Apple mit seinen 36.000 Mitarbeitern schwer fallen. Aber Neofonie mit 180 Mitarbeitern bekommt das hin. Da ist sich die Presse anscheinend einig und selbst den vermeintlichen IT-Expertenjournalistenvon Heise.de fällt als einziger Kritikpunkt ein, das Gerät sei „noch nicht ganz perfekt abgestimmt“.

Schließlich kann man den auserkorenen Hoffnungsträger einer Branche ja auch nicht vor der Geburt sterben lassen. Wie schreibt Stern.de noch als letzten Satz in seinem heutigen Artikel: „Ob sich nur Menschen mit ausgeprägter Apfel-Allergie für ein offenes, erweiterbares System, das auch Flash abspielt, erwärmen können, wird der Sommer zeigen.“

Würde der Stern über die Vorteile des Kommunismus berichten, würde sich das wahrscheinlich so lesen: „Ob sich nur Menschen mit ausgeprägten antikapitalistischen Gedanken für ein faires, gerechtes System, in dem es allen Menschen gut geht, entscheiden können, wird die nächste Wahl zeigen“.

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